Archiv für Februar 2010

Fundstück / Rhetorik

Wortschöpfung sowie „Argumentationsstil“ finde ich beeindruckend:

Eine griechische Zeitung druckte am Mittwoch ein retuschiertes Foto der Siegessäule in Berlin. Darauf streckte die Statue der Siegesgöttin Victoria statt eines Lorbeerkranzes ein Hakenkreuz in die Luft. Im Kommentarteil warnte das Blatt vor „Finanz-Nazitum in Europa“. Die Regierung in Athen hat aber auch der Europäischen Union vorgeworfen, eine Mitverantwortung für Griechenlands schwere Haushaltskrise zu tragen.

(Quelle)
Woher kenne ich nur diese merkwürdige Art der „Argumentation“?

Dantes Inferno

In einen Schulbus zu geraten kann überraschend interessant werden. Unlängst mußte (aufgrund der Lautstärke und einer Menschendichte von gefühlten 15 Menschen pro m²) ich ein Gespräch mithören:

Schüler1:“die Reise auf Charon ist ja noch voll easy. An dem dreiköpfigen Hund bin ich auch fix vorbei.“
Schüler2:“Ja, aber warte mal ab bis du zu der Stelle mit dem Fluss aus Blut kommst.“
Reise, Charon, Cerberus, Phlageton? Reden die beiden von der göttlichen Komödie? Die Annahme, dass es sich um eine Lektüre, angeregt vielleicht durch einen engagierten Deutschlehrer, handelt, wurde allerdings schnellt widerlegt.

Dass Bücher verfilmt, Bücher zu Filmen und Videospiele zu Filmen erscheinen ist die Regel. Aber, dass Videospiele zu Büchern erscheinen ist eine Seltenheit. Die Göttliche Kömodie ist als Videospiel neuaufgelegt worden und die Neuinterpretation fällt diesmal ziemlich brutal, nackt und stylish aus. Beide S. zusammen, aber sicher nicht alleine, könnten vielleicht die 18. Jahre für die Einstufung der FSK aufbringen. Die Konvertierung hat einige Änderungen nach sich gezogen und so zieht Dante als schuldbeladener Teilnehmer des dritten Kreuzzuges (!) mit einer Knochensense von Gevatter Tod persönlich aus, durchwandert die neun Höllenkreise (Limbus, Wollust, Völlerei, Habgier, Zorn, Häresie, Gewalt, Betrug, Verrat), um schließlich Luzifer selbst in den Hintern zu treten und seine Frau Beatrice zu retten. Welcher Schüler hätte gedacht, dass Literatur so cool sein kann? Sogar moralische Entscheidungen kommen in wohldosierter Form zu tragen. Man kann in jedem Höllenkreis prominente Seelen erlösen oder hinrichten, was Fähigkeitspunkte in einem Holy/Unholy-Skilltree bringt. Die Bosskämpfe laufen spielerisch anspruchslos in Quick Time Events ab und sehen dadurch eher wie ein düsterer, blutiger, interaktiver Film aus. Ich habe die Irritationen genossen, dass die Grenzen zwischen Buch, interaktiver Film und Videospiel allmählich verschwinden. Welche anderen Bücher könnte man auf diese Weise neu erleben? Die Illias, die Odyssey, die Metamorphosen, das Nibelungenlied, der Simplicissimus? Eine Neuinterpretation dieser Stoffe ist legitim und sagt einiges über die Umstände dieser unserer Zeit aus.

Das Spiel endet übrigens mit Dantes Auszug aus der Hölle hin zum Läuterungsberg. Stoff genug also für noch zwei Add-ons?

Review zum Spiel bei GT

Experte: „Besser lesen und schreiben durch das Internet“

Eine amerikanische Studie will im Netz besondere Möglichkeiten Intelligenz zu fördern gefunden haben. Eine Internetumfrage (ahja) unter 900 Leuten (doch so „viele“?), von denen die Hälfte „prominent scientists, business leaders, consultants, writers and technology developers“ und die andere Hälfte per Twitter&Co gefundene Leute sind, hat u.a. „herausgefunden“:

two-thirds said reading and writing skills and the rendering of knowledge will be enhanced by 2020 due to the influence of the Internet.

Die vermeintliche Leseverbesserung fängt damit an, dass der Autor der oben zitierten Summary aus der Angabe von 81% in der Studie (S.5) 2/3 also 66% macht. Aber okay, wir haben ja noch nicht 2020. Ein bißchen mehr Bauchweh bekomme ich, wenn ich sehe, dass in dieser „Studie“ ~40 von 45 Seiten aus Zitaten von Beteiligten bestehen. Aber vielleicht sind das auch nur meine antiquierten Anforderungen an eine Studie als Prä-2000-Geborener, die sich da äußern.

Offensichtlich stimme ich nicht in den Tenor der „Studie“ ein und bin damit weder der Erste noch Einzige. In einer Zeit in der Betriebssysteme und Software immer mehr auf visuelle Elemente setzen, Textfelder durch Icons ersetzt werden und Suchmaschinen Gleichungen lösen, begibt man sich aus Bequemlichkeit in eine technische Abhängigkeit. Kant würde es wohl als selbstverschuldete Unmündigkeit bezeichnen. Inzwischen kann man das Alter seines Gegenübers in Chats und Foren ziemlich gut anhand von der Verwendung von Groß-/Kleinschreibung, Satzzeichen, Absätzen und Orthographie erkennen. Auf längere Beiträge in Foren folgt inzwischen ein „tl;dr„. too long. didn´t read. Aus dem fehlenden Willen (oder Können?) des Lesers den Beitrag zu lesen wird der implizite Vorwurf an den Autor:“Du schreibst zu lang als dass man es lesen könnte.“ Sind das wirklich Relikte einer überkommenen Form der Kommunikation?

Ich will das Internet nicht verteufeln oder das Medium Buch auf einen Thron hieven, aber ein bißchen mehr Konzentration, eine tiefergehende Beschäftigung mit etwas, könnte allen gut tun. Das sind nur Kleinigkeiten wie die Anleitung lesen und nicht gleich beim Telefonsupport beschweren.

Dass Bücher auch nicht ohne sind, hat bereit jemand anders treffend auf den Punkt gebracht:

Wann wir lesen, denkt ein Anderer für uns: wir wiederholen bloß seinen mentalen Proceß. […] Eben daher kommt es auch, daß wer sehr viel und fast den ganzen Tag liest, dazwischen aber sich in gedankenlosem Zeitvertreibe erholt, die Fähigkeit, selbst zu denken, allmälig verliert, – wie Einer, der immer reitet, zuletzt das Gehn verlernt.Arthur Schopenhauer: § 291 Ueber Lesen und Bücher (Kapitel XXIV von Parerga und Paralipomena II).

Also hör nun auf das hier zu lesen und geh´ mal wieder ein selbst paar Schritte! Sapere aude!

Sprachliches

Habe ein paar neue Wörter kennen gelernt. Noch unklar ob ich sie im Alltag benutzen werde. Befürchte irritierte Blicke.

Schranken-Schranke – Einschränkung von Einschränkungen, meißt in Verbindung mit Grundrechten. Man darf zwar daran rütteln und diese einschränken, jedoch nur unter ganz speziellen Bedingungen (den Schrankenschranken).

Kompetenz-Kompetenz – Institution, die untergeordnete Institutionen Kompetenzen zuspricht. In Deutschland hat der BUND die K. gegenüber den Ländern.

tote Baumscheibe – Synonym für ein Blatt Papier.

Gott fragen – Synonym für googlen.

Moê-blob – Wenn ein Charakter so übertrieben süß ist, dass man als Leser/Zuschauer dringend Insulin braucht. Bietet kaum weitere charakterlichen Eigenschaften, die nicht Variationen von süß/unschuldig/hilfsbedürftig sind.

Zombies

Wer Left4Dead, einen Resident Evil-Titel oder Dead Rising gespielt oder Filme wie 28-Days/Weeks-later, Dawn of the dead, I am legend oder Zombieland gesehen hat, weiß wie er sich im Falle eines Zombieangriffes verhalten muss, um zu überleben. Die Bücherwürmer unter uns hatten bisher die Gelegenheit sich in Ratgeberliteratur wie „Der Zombie Survival Guide“ fortzubilden.

Unnötig? Übertrieben? Von wegen! Kanadische Mathematiker haben aufgezeigt:

An outbreak of zombies infecting humans is likely to be disastrous, unless extremely aggressive tactics are employed against the undead.

(S=Susceptible/’Empfängliche‘, Z=Zombies, R=Removed/’Entfernte‘)

Demnach wäre eine Stadt in der Größe Dortmunds (500.000) in drei Tagen unrettbar an die Zombies verloren. Angesichts dieser kurzen Zeitspanne bastel ich mir schon einmal ein Survival Kit zusammen. Vllt greife ich auch auf das bereits fertig erhältliche Kit zurück, auch wenn mir persönlich die Kettensäge und ein paar Panzerkekse fehlen.

Wem das zu theoretisch ist, der kann sich auch in Google Earth eine solche Zombieinvasion simulieren lassen

Statistik

Graphen haben eine beruhigende Wirkung. Sie nehmen uns Arbeit ab. Sie reduzieren die unüberschaubare Komplexität der Wirklichkeit auf zwei, drei Achsen und zeigen uns Zusammenhänge auf. Je mehr X, desto mehr oder weniger Y. Das ist verständlich. Das kann man sich merken. Es spricht ein Bedürfnis nach Vereinfachung an. „So einfach kann die Wirklichkeit sein“ suggerieren sie.

Dabei spielt es keine kleine Rolle, was sich da auf die Achsen verirrt und Zusammenhänge „nachweist“. Ein wunderbares Beispiel dafür, dass Korrelation und Kausalität zwei verschiedene Dinge sind: Die globale Durchschnittstemperatur in Relation zur Anzahl an Piraten

Dieser Zusammenhang ist zentraler Glaubensinhalt der Pastafarians. Die Graphik stammt aus dem Brief des Gründers, Bobby Henderson, das fliegende Spaghetti Monster als dritte Quelle von Leben, neben Evolution und Intelligent Design in Schulen zu unterrichten.

Dann lasst uns mal die Augenklappen und Kopftücher `rauskramen.

Descartes

Descartes sitzt in Paris in einer Bar.
Fragt der Kellner:“Noch was zu trinken?“
Antwortet Descartes: „Ich denke nicht.“
*Puff*, ist er weg.

(Erklärung, falls nötig)

Update: Ein Freund, der Philosoraptor, hat es wie folgt auf den Punkt und in ein Bild gebracht:


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